Gerste und BetaGerste

Allgemeines

Gerste (Hordeum) ist die älteste vom Menschen kultivierte Getreideart, und sie gehört wegen ihrer sehr kurzen Wachstumszeit (die kürzeste von allen) zu den im Anbau flexibelsten Getreiden. Gerste kann deshalb sowohl in kühlen Gegenden Nordeuropas als auch in sehr heißen Gebieten wie dem Irak oder Iran angebaut werden. Als Urform wird die sechszeilige Wildgerste angenommen, aus der neben Spelzgersten auch Nacktgersten gezüchtet wurden.

Bei den Spelzgersten sind die Spelzen, die zwischen sieben und 14 Prozent des Gewichts der Gerste ausmachen, fest mit der Fruchtwand verwachsen. Qualitätsgersten werden hauptsächlich als Malz bei der Bierherstellung verwendet. Daneben werden sowohl das Malz als auch die Flocken der Gerste in Broten und Brötchen eingesetzt.

Diese herkömmliche Art der Gerste wird zwar zur Herstellung von Mehrkornbroten genutzt, allerdings wäre das Wort „Backfähigkeit“ eindeutig falsch benutzt, geht es um Gerstenmehl. In kleineren Mengen könnte man mit Gerstenflocken Akzente setzen. Der hohe Ballaststoffgehalt steht einer geringen Wasseraufnahmefähigkeit gegenüber, was Gerste als Brotgetreide uninteressant macht. Und darin liegt auch ein Grund der seltenen Verwendung.

Aber warum reden wir über einen Rohstoff, der eigentlich nicht geeignet ist, um daraus Brot zu backen? Die Zeiten ändern sich, und die „Wissenschaft“ findet immer wieder interessante Aufgaben. So machte sich vor etwa 20 Jahren ein Saatgutzüchter aus der Nähe von Hannover daran, die Eigenschaften der Gerste über einen Ausleseprozess aus einer Wintergerste so anzupassen, dass diese backfähig wird. Ferner hatte man die Absicht, den Gehalt an beta-Glucanen, die schon in der „alten“ Gerste zu einem großen Teil vorhanden waren, zu erhöhen.

Diese beta-Glucane (ein ernährungsphysiologisch besonders wertvoller, löslicher Ballaststoff) ermöglichen, regelmäßig verzehrt, den Cholesterinspiegel auf einem gesunden Niveau zu halten. Diese Tatsache und die damit verbundene Werbeaussage wurde sogar von der EU im Bezug auf die Health Claims zugelassen und darf somit, wenn die in einer Portion vorhandene Menge entsprechend hoch ist, verwendet werden. Ferner ging es darum, den Gehalt an Amylopektin in der Stärke zu erhöhen.

Mit dieser neuen Gerstensorte erlebt diese Getreideart eine Renaissance. Und das hat mehrere Gründe. Das Backverhalten der Brotgerste (auch BetaGerste genannt) ähnelt in etwa dem des Roggens, wobei ein 100-prozentiges Gerstenbrot nicht so schmackhaft wäre wie ein reines Roggenbrot es ist. Allerdings sorgen Zugabemengen von bis zu 60 Prozent dafür, dass Gerstenbrote lange satt machen und auch enorm lange frisch halten. Jedoch lassen sich Brote mit maximal 30 Prozent Gerste, auch wenn man die Health-Claims-Definition dann nicht nutzen darf, besser verkaufen, da das Backergebnis einfach besser ist.

Der Aufbau des Gerstenkorns

Im Gegensatz zu Standardgetreidesorten mit einer Aleuronschicht, enthält die BetaGerste drei Aleuronschichten. Ferner befinden sich die Ballaststoffe bei dieser Gerste nicht nur in den dunklen Randschichten des Korns. Die beta-Glucane liegen zu 25 Prozent in den Wänden der Aleuronschichten und zu 75 Prozent in den Zellwänden des Mehlkörpers (Endosperm).

Das Korn der Gerste wird in einem technischen Verfahren vorsichtig von seinen äußeren Randschichten getrennt (entspelzt), damit der Mehlkörper weitgehend erhalten bleibt. Aus dieser entspelzten BetaGerste lassen sich Mehl, Schrot oder Flocken herstellen, welche eine hohe Backfähigkeit aufweisen.

Die beta-Glucane

Die EU-Health-Claims-Verordnung regelt die werblichen Aussagen zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben zu Lebensmitteln. Danach sind zum Schutz der Verbraucher zukünftig nur noch Aussagen erlaubt, die wissenschaftlich belegt werden können. Und zwei der Aussagen im Bezug auf die Beta-Glucane haben es durch dieses anspruchsvolle Prüfverfahren der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) geschafft:

  • Der regelmäßige Verzehr von Beta-Glucanen aus Gerste trägt zur Aufrechterhaltung eines normalen Cholesterinspiegels bei“ und
  • Der regelmäßige Verzehr von beta-Glucanen aus Gerste reduziert den Cholesterinspiegel“.

Die nötige Menge an beta-Glucan wird erreicht, wenn der Mehlanteil bei mindestens 40 bis 45 Prozent betaGERSTE liegt. Eine Verzehrsportion entspricht in der Regel zwei Scheiben eines Brotes mit einem Gewicht von circa 45 Gramm pro Scheibe.

Mit etwa sechs Prozent in der Trockenmasse (in der Feuchtmasse sind es über fünf Prozent) enthält die Gerste fast 50 Prozent mehr beta-Glucan als übliche Schälgersten und fast zwölfmal mehr als Weizen und Roggen (siehe Grafik). Beta-Glucane sind lösliche Ballaststoffe. Sie können fast das 40fache ihres Eigengewichts an Wasser binden. Und da sie im Magen-Darm-Trakt Gallensäuren, Cholesterin und Giftstoffe binden und so auf natürliche Weise aus dem Körper transportieren, werden diese weniger reabsorbiert und die Leber wird zur Neuproduktion von Gallensäuren aus Cholesterin angeregt. Das senkt den Cholesterinspiegel.

Die Frischhaltung

Dass Brote, die mit der „neuen“ Gerste gebacken wurden, eine enorme Frischhaltung haben, haben wir schon gehört. Der entscheidende Aspekt bei der Frischhaltung ist der sehr hohe Amylopektingehalt der Stärke. Diese Amylopektinstärken bilden äußerst stabile Gerüststrukturen und können zunächst mehr Wasser aufnehmen, dieses dann aber auch dauerhafter binden. Das bedeutet, dass die natürliche Retrogradation der Stärke nur stark verzögert stattfindet. Dies ermöglicht es, Brote zu kreieren, die in frischem Zustand keine zu feuchte Krume aufweisen, aber dennoch eine lange Frischhaltung haben.

Übliche Getreidesorten enthalten etwa 75 Prozent Amylopektin und 25 Prozent Amylose in der Stärke. Bei der Brot-Gerste sind es 95 Prozent Amylopektin und fünf Prozent Amylose, was diese Getreideart ebenso für die Stärkegewinnung interessant machen wird. Auch die Verteilung der Ballaststoffe innerhalb des Brotgersten-Korns unterscheidet sich vom üblichem Getreide, in dem hauptsächlich die Randschichten Ballaststoffe enthalten. Und wie schon erwähnt, sind bei der Gerste die beta-Glucane auch in den inneren Bereichen vorhanden, weswegen auch ausgemahlene Mehle eine höhere Wasseraufnahme aufweisen.

Die Verarbeitung der Gerstenmahlerzeugnisse

Um das ideale Backergebnis mit diesen Gerstenprodukten hervorzubringen, sollte man bestimmte Faktoren beachten. Die zwei wichtigsten sind die passende Menge der Zuguss-Flüssigkeit sowie die ausreichende Verquellung der Gerstenbestandteile.

Aber gehen wir zunächst auf den zweiten Faktor ein: Wie auch bei anderen Getreidearten üblich, sollten die Flocken und groben Schrote in Form von Quellstücken verarbeitet werden, da sie etwas länger brauchen, um das Wasser aufzunehmen beziehungsweise zu binden.

Auch Brühstücke machen Sinn, auch wenn ohnehin schon eine enorme Wasseraufnahme gegeben ist und durch eine zu hohe Menge vorverkleisterter Stärke leicht zu viel Wasser in den Teig kommen könnte, was später zu klitschigen Krumen führen kann. Speziell bei Dinkelbroten mit Gerste wirkt ein solchen Brühstück Wunder, da Dinkel von Natur aus mehr Wasser im Teig benötigt.

Agiert man mit einem Flockenbrühstück, kommt man mit einer TA von 350 zu einem guten Ergebnis. Man überbrüht 100g Betagerstenflocken und 10g Salz mit 250ml kochendem Wasser. Dieses Produkt wird heruntergekühlt und kann dann mit bis zu 15% auf Gesamtmehl eingesetzt werden (150g Betagerstenflocken im Brühstück auf 1,000 kg Gesamtgetreide, womit man 375ml gebundenes Wasser im Teig hätte).

Im Vergleich zu anderen Getreidearten sollten auch die Mehle der Brotgerste vorgequollen werden, um für die Produkte das benötigte Wasser verfügbar zu machen ohne die Verkleisterung der sonstigen Mehle zu beeinträchtigen. Dieser Prozess ist notwendig um den im Mehlkörper enthaltenen Ballaststoffen (beta-Glucane) ausreichend Zeit zur Verquellung zu geben. Zu gewährleisten ist diese Verquellung auf der einen Seite durch Quellstücke, andererseits macht es aber mehr Sinn, Quellruhen während der Knetung einzubauen (also zum Beispiel fünf Minuten langsam, zehn Minuten Quellruhe, fünf Minuten langsam).

Was die Zugabemenge der Gerste zu den Brotteigen betrifft, so werden zu hohe Mengen nicht empfohlen, da sie sich nachteilig auf das Brotvolumen aber auch auf die Krumenstruktur auswirken. Ab 20 Prozent darf man ein Brot nach den Leitsätzen nach einer Nicht-Brot-Getreideart nennen, in diesem Fall also Gerstenbrot. Technologisch gesehen sind aber bis zu 60 Prozent des Getreides in Broten zu integrieren. Eine weitere Zugabemöglichkeit der Gerste besteht bei Mehrkornbroten, wo nur fünf Prozent Verwendung finden müssen, um die Bezeichnung nutzen zu können.
Natürlich kann man auch Brötchen mit dieser Gerste herstellen. Zum Ausloben reichen 20 Prozent, funktionieren würden auch 30 Prozent. Hier bietet es sich an, den Rest des Mehls in Form von Weizen zuzugeben, wenn man ein gewisses Volumen erreichen möchte.

Abschließend noch die Faktoren Säure und Temperatur

Roggenbrote benötigen zur Strukturbildung die Säuerung. Bei der betaGerste unterstützt die Säuerung die Teigstabilität. Genau wie ein Roggenbrot, benötigt auch ein Brot mit einem hohen Anteil an Gerste eine passende Säuremenge, die man in Form von Roggensauerteig zugeben kann (oder beim Brötchen als getrockneten Sauerteig). Dessen Menge sollte nicht zu hoch gewählt werden, damit der milde Geschmack der Gerste weiterhin zur Geltung kommen kann.

Die Teigtemperaturen sollten etwas unter denen von anderen Teigen liegen je nach zugemischter Getreideart bei Brötchen bei um die 24 Grad Celsius, bei Mehlbroten um die 25 und bei Schrotbroten bei 26 Grad. Werden sehr hohe Gerstenanteile eingesetzt, sollte die Teigtemperatur noch weiter nach unten korrigiert werden.

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